Gastbeitrag von Carlos Borges Nur wenige Städte üben eine derart universelle Faszination aus wie Rio de Janeiro. Vielleicht liegt es an der tropischen Umgebung, vielleicht am Multikulti-Mix der Bewohner, vielleicht am atemberaubenden Setting – oder an allem zusammen. Aus jedem Fenster dringen heiße Rhythmen und an jeder Straßenecke wird gekickt, wie es sich für die Fußballhauptstadt gehört. Für mich ist Rio einfach eine unglaubliche Stadt, vielleicht die schönste der Welt.
Ich bin zwar kein Carioca von Geburt an, dafür aber von Herzen. Schon vor Jahren habe ich mich in die Stadt verliebt und habe seitdem immer wieder den Drang, nach Rio zurückzukehren. Vielen Einheimischen ist längst der Blick für die vielen kleinen Wunder, die Rio ausmachen, vergangen, deshalb möchte ich sozusagen als Fan von außen meine Lieblingsorte in Rio mit euch teilen. Herausgekommen ist eine Mischung aus den wichtigsten Highlights und einigen Geheimtipps, die den Touristenmassen bisher noch verborgen geblieben sind.
Ich schlage vor wir fangen da an, wo einst alles begann: im Herzen der Stadt. Das Zentrum von Rio kann auf den ersten Blick überwältigend, ja fast beängstigend wirken – doch wer seinen Mut zusammennimmt und die versteckten Ecken erobert wird belohnt.
Das Frühstück im Hotel kann man getrost ausfallen lassen und stattdessen den Tag in einer der ältesten Konditoreien der Stadt, der Confeitaria Colombo, bei einer köstlichen Mischung aus lokalen und portugiesischen Spezialitäten starten. Die Einrichtung der Confeitaria ist eine Art Zeitmaschine, beim Betreten der Confeitaria wird man ungefähr 100 Jahre zurückversetzt – doch die Leckereien sind natürlich frisch aus dem Ofen. Nach dem Frühstück ist es an der Zeit für etwas Kultur, zum Beispiel im Kloster Sao Bento mit seinen ausgefeilten Holzarbeiten und zahlreichen religiösen Artefakten. In der Umgebung gibt es noch viele andere Museen und historische Gebäude, so dass schnell mehrere Stunden ins Land gehen und es schon Zeit für einen Snack und den ersten Drink des Tages ist. Wir gehen dorthin, wo die Cariocas sind: in die Bars und Restaurants entlang der Travessa do Comércio und Rua do Ouvidor. Am lebhaftesten ist es hier unter der Woche, am Wochenende wirkt das Zentrum von Rio manchmal wie ausgestorben.
Nicht weit vom Zentrum entfernt liegt das Viertel Santa Teresa. Im 18. und 19. Jahrhundert suchten hier in den Hügeln reiche Cariocas Zuflucht vor der Sommerhitze. Noch heute strotzt die Gegend vor imposanten Häusern mit riesigen Gärten. Gleichzeitig ist Santa Teresa eines der kulturellen Zentren von Rio, hier liegt eine Galerie neben der anderen, die Künstlerdichte ist so hoch wie sonst nirgends in der Stadt.
Wer noch einigermaßen gut zu Fuß ist sollte nicht mit dem Taxi hinauffahren, sondern lieber die Celarón-Treppe nehmen. Die farbenfrohen Fliesen aus aller Welt lassen einen die vielen Stufen fast vergessen. Zahlreiche Bars und ausgezeichnete Restaurants wie das Aprazivel sorgen für ein lebhaftes Nachtleben.
Nach so viel Kultur ist es definitive Zeit für ein bisschen Entspannung am Strand – denn dafür ist Rio schließlich bekannt. Die berühmte Copacabana hat ein tolles Flair, aber mein Lieblingsstrand ist und bleibt Ipanema.
Und das aus gutem Grund, denn hier bekommt man einen Einblick in das typische Strandleben der Cariocas. Der Strand ist weniger touristisch, das Wasser ist sauberer und der Sonnenuntergang vom Arpoador-Felsen am linken Rand des Strandes aus ist einfach einmalig.
Wer dem Treiben am Strand von Ipanema eine Weile zusieht wird verstehen, woher all die Fußballgrößen Brasiliens kommen. Alle 50 Meter findet man ein Futvolley-Feld – das ist ungefähr wie Beachvolleyball, nur ohne Hände. Klingt kompliziert, macht aber ungeheuren Spaß.
Die Strände nahe der Stadt können am Wochenende ziemlich voll werden, wer es lieber etwas einsamer mag, sollte in den Süden nach Prainha oder Grumari (südlich von Barra da Tijuca) fahren. Auch diese Strände werden euch sicher nicht enttäuschen!
Im Süden von Rio liegt außerdem eines der größten innerstädtischen Naturschutzgebiete, der Floresta da Tijuca Nationalpark. Denn, ob ihr es glaubt oder nicht, Rio ist auch ein Paradies für Wanderer und Bergsteiger. Einige lohnenswerte Gipfel sind der Pedra Bonita (524 m), der Pico do Papagaio (987 m), der Pico da Tijuca (1.021 m) und der Pedra da Gávea (842 m) – allesamt spektakulär. Wer seine Wanderstiefel nicht im Gepäck hat, kann beim Paragliden mit dem Fallschirm vom Pedra da Gávea bis zum Strand Sao Conrado hinuntersegeln.
Wo wir gerade beim Thema Adrenalinjunkies sind: erfahrene Guides bieten Klettertouren auf den Zuckerhut an. Profis können die vertikale „italienische“ Route nehmen, während Anfänger den 396 Meter hohen Gipfel von der anderen Seite aus erklimmen.
Das Stadtviertel am Fuße des Zuckerhuts, Urca, ist ebenfalls eine kleine Entdeckungstour wert – dieser Teil von Rio wird zwar von den meisten City Touren links liegen gelassen, aber wer den Weg nicht scheut kann sich vom charmanten Lokalkolorit betören lassen.
Aber tut mir den Gefallen und verbraucht nicht all eure Energie beim Sport in und um Rio – das Nachtleben der Stadt ist schließlich nicht grundlos weltweit legendär. Um die Entscheidung zwischen all den Möglichkeiten etwas einfacher zu machen, muss man erstmal die komplexe Musikszene der Stadt verstehen. Lapa, nahe dem Zentrum, ist das Zuhause des traditionellen Sambas. An zahlreichen Bars und Straßenstände können die Partygänger kaltes Bier und Caipirinhas kaufen, hier hat schon so manche lange Nacht in Lapa begonnen.
Zu den besten Clubs in der Gegend zählen Lapa 40°, Carioca da Gema, Democráticos, Rio Scenarium und mein absoluter Lieblingsladen, Bola Preta. Der traditionelle Samba ist entspannter und hat weniger Beat als der kraftvolle Samba Enredo, der einen mit seinem Heer an Drummern und einer unglaublichen Dezibelzahl wortwörtlich vom Hocker reißt.
Sambaschulen wie Mangueira organisieren in der Zeit von Anfang Januar bis zum Karneval regelmäßig Parties in den lokalen Sporthallen.
Der zweite typische Rio-Sound ist der Bossa Nova. Diese Musikrichtung hat Einflüsse aus dem Jazz und verführt Nachtschwärmer in den Bars von Ipanema und Copacabana. Eine gute Wahl für Konzerte ist die Vinicius Piano Barin der Straße Vinicius de Moraes in Ipanema.
Auch Liebhaber elektronischer Musik kommen in Rio auf ihre Kosten, das Highlight der Szene sind die wöchentlichen Parties in Casa Alto Vidigal in der befriedeten Favela Vidigal nahe Leblon – neben dem fantastischen Sound besticht die Tanzfläche mit ihrem Blick über die Stadt.
Zu guter Letzt gibt es noch den Funk Carioca, eine verrückte Mischung aus Rap, Hip-Hop und Funk, nur echt mit sexy Moves und Gangsterattitüde. Den wahren Funk Carioca findet man in Tanzhallen in den Favelas der Stadt. Die meisten sind nicht wirklich empfehlenswert für Touristen, aber einige Locations wie das Castelo das Pedras sind sicher und können ohne weiteres besucht werden.
Ein guter Ort um den Kater am nächsten Tag auszukurieren ist der botanische Garten – oft vernachlässigt, aber eine wahre Insel an Ruhe und Frieden inmitten der Hektik der Stadt. Ein Spaziergang durch die schön angelegten Gärten mit exotischen und einheimischen Pflanzen bringt ein bisschen Ruhe in das volle Programm. Von hier aus kann man zu Fuß den Park Lage erreichen, hier ist in einem der schönsten Gebäude der Gegend die Kunstschule von Rio untergebracht. Nach einer Stippvisite der lokalen Kunstszene geht es mit dem Boot durch die Bucht nach Niteroi zum Museum für moderne Kunst. Das Gebäude von Oscar Niemeyer ist schon für sich ein Kunstwerk und eine der Ikonen für moderne Architektur.
Die Ausstellungen im Inneren lohnen zwar auch einen Besuch, doch werden sie oft von dem architektonischen Meisterwerk, in dem sie untergebracht sind, überschattet.
Kein Trip nach Rio ist komplett ohne Fußball. Der Sport ist hier so in den Alltag integriert, dass man kaum zehn Meter laufen kann, ohne in irgendeiner Form auf das Thema Fußball zu stoßen. Wer zwischen Ende Februar und Anfang Dezember am Wochenende in der Stadt ist sollte die Gelegenheit nutzen und ein Spiel der lokalen oder sogar der nationalen Liga besuchen, wenn möglich im kürzlich renovierten WM-Stadion Maracana. Es ist möglich, die Tickets kurz vor dem Anstoß direkt im Stadion zu kaufen.
Jetzt habe ich euch wahrscheinlich mit dem Rio-Virus angesteckt…wenn ihr euch trotzdem von der Stadt losreißen könnt, um euch in andere Ecken Brasiliens aufzumachen, solltet ihr das am besten per Inlandsflug vom Regionalflughafen Santos Dumont tun. Wenn nötig kämpft mit roher Gewalt um einen Fensterplatz, denn der Blick über die Bucht, die Strände, den Zuckerhut und die Stadt ist das letzte Highlight auf meiner langen Liste…
Wetten, ich weiß was ihr denkt, wenn die Stadt unter euch zurückbleibt?
Über den Autor: Carlos, ein in Deutschland lebender Brasilianer, liebt es, seine Insidertipps aus Brasilien mit anderen zu teilen. Mit seinem Startup Triprebel verhilft er Reisenden auch zu günstigen Hotels.