Ich sitze in einem Gärtchen oberhalb des Pazifiks, vor mir Klippen, Felsen, raue See und ein paar sturmgeformte alte Bäume. Hinter mir ein wunderschönes altes Haus. Es sieht aus wie New England, doch eigentlich könnte das hier auch genauso gut Schottland sein – Wetter und Szenerie passen zumindest.
Es ist erst Anfang September, doch der kalte Wind pfeift nur so durch mich hindurch, weshalb ich auch eine Leopardenfell-Jacke trage (die ich deshalb dabei habe, weil ich davor beim Burning Man war, aber das ist eine andere Geschichte…). Doch exzentrisches Outfit hin oder her ist eigentlich völlig egal. Denn hier in Mendocino, an der Nordküste von Kalifornien, ist alles ein wenig anders…
Hier scheinen die Uhren langsamer zu ticken, hier ist alles ein wenig beschaulicher, gechillter, abgelegener, verschrobener. Rauer und ursprünglicher. Hier steigen die Temperaturen auch im Sommer kaum über 20 Grad, stattdessen rollt der berüchtigte Nebel vom Pazifik herein und lässt alles hinter einem unwirklichen Schleier verschwinden.
L.A. und Hollywood, Sonne und Beachkultur, Surfer, Touristen und mehrspurige Highways, Silicon Valley und Palmen was man sich noch so vorstellt beim Wort Kalifornien: Das hier ist ein anderes Kalifornien, das ganz andere Sehnsüchte weckt.
Wir kamen von Norden, aus dem Süden von Oregon genauer gesagt, wo wir ganz oben beim Redwood National Park zunächst auf Urwälder mit Baumriesen und dann auf die Küste stießen. Von dort führt der alte Highway 1 mal etwas im Inland, mal direkt an der Küste entlang nach San Francisco (und von dort ja bekanntlich weiter nach L.A.). Hier muss man einfach roadtrippen. Und das taten wir – Yvonne und ich – die gesamte Nordküste entlang.
Die Nordküste von Kalifornien ist rau und wild und einsam, es gibt nur wenige kleine Orte und verstreute Siedlungen und noch weniger Touristen. Der alte Highway 1 ist schmal und kurvig und windet sich an der Küste entlang, durch Tunnel aus windverformten Bäumen und vorbei an kleinen Farmen und superschön gelegenen B&Bs. Es gibt quasi keine Industrie, dafür wird angeblich im großen Stil Marihuana angebaut (das allerdings gut versteckt – doch ich schwöre, dass ab und zu ein Schwall durch die windige Pazifikluft schwebte). Viele Künstler, Althippies und Aussteiger leben hier, vor allem in der Gegend um Mendocino. Nur 3 Stunden nördlich von San Francisco, doch in einer anderen Welt.
Der kleine Ort Mendocino selbst wirkt, als sei er aus New England hierher verpflanzt worden, zack, einfach so, auf eine Klippe über dem Pazifik (genau wie die ersten Bewohner im 19. Jhd.). In den letzten Jahrzehnten entwickelte er sich zur Künstlerkolonie. Hübsche alte Holzhäuser, eine alte Holzkirche, zahlreiche „Galleries“ und Ateliers. Ketten sucht man hier vergeblich.
Dafür gibt es schnuckelige kleine Läden, Restaurants und Cafés, dazwischen eine Tarot- und Ich-les-dir-aus-der-Hand-Bude und den ein oder anderen Esoterik-Shop mit Edelsteinen und sonstigem Zubehör (und nein: der Mendocino-Schlager wird hier nicht überall gespielt! Ich gebe jedoch zu, dass wir ihn das ein oder andere mal angestimmt haben. Um dann festzustellen, dass wir den Text eigentlich gar nicht kennen).
Im schnuckelig-eleganten Agate Cove Inn finden wir im Vorbeifahren den Rückzugsort, den wir suchen. Ein historisches Haus von 1860 mit Blick auf den Ozean, mit Hot Tub, Hängematte und Sitzbänken im Garten, hausgemachtem Frühstück (alles mit Ozeanblick), DVD-Sammlung zum Ausleihen, selbstgebackene Scones am Nachmittag, Zimmer mit Himmelbetten und Kaminen und Sherry in Glaskaraffen. Hier möchte man einfach nur abschalten, nachdenken, schreiben, einsame Küstenwege entlangwandern, gut essen und dabei ganz viel kalifornischen Wein trinken.
Hier wünschte ich mir, die Mendocino-Zeit möge tatsächlich langsamer vergehen.
Dann hätte ich nämlich noch ein wenig bleiben können…
Da möchte ich hin!
Ich glaube, das würde dir auch sehr gut gefallen da, Holger! Ich möchte nächstes Jahr auch nochmal hin, 😉
Ich habe deinen schönen Artikel eben nochmals gelesen (und nochmals angeschaut) und muss wirklich sagen: ein richtiger Sehnsuchtsort, den du uns da zeigst. Meine Güte, jetzt muss ich doch nach Kalifornien. 🙂
Danke Holger, das freut mich! <3 Jeder muss mal nach Kalifornien! 😉 Ich bin jetzt natürlich gespannt, ob du nach Kalifornien reist und wie es dir dort gefällt... Ich werd's auf jeden Fall wieder tun!
Spannend zu sehen, dass du mal ein ganz anderes Bild der kalifornischen Küste präsentierst. Ich glaube, die Gegend nördlich von San Francisco wird oft unterschätzt. In den Redwood National Park wollen wir bei unserem nächsten USA Roadtrip auch, da lässt sich ja Mendocino gut mit einbinden.
Danke! Ja, ich war schon weiter im Süden, in L.A. und Yosemite, Sequoia NP und so, und hab mich daher sehr gefreut, mal ein anderes Kalifornien zu sehen. Es kommt eben darauf an, was man sucht – für mich passte die Nordküste sehr gut, ich kann mir aber auch vorstellen, dass es manche langweilig (und zu kalt) finden. Oh ja, macht bei eurem Roadtrip auf jeden Fall einen Stopp in Mendocino in einem der schnuckeligen BnBs an der Küste! Point Reyes ist auch schön, ebenso die Strände bei Sonoma – und die Redwood-Wälder. Die gibt es ja zum Glück auch schon in der Gegend um Mendocino und im Humboldt County…
Oh ja kenn ich, da war ich vor…10 Jahren mal hindurchgefahren. Obwohl dann seltsamerweise der Motor von meinem Wagen plötzlich schlapp machte. Kein Handyempfang un die nächste Garage war irgendwo near nowhere. Zum Glück sind die Nord-Kalifornier sehr hilfsbereite Leute.
Toll diese Bilder zu sehen, wecken einige Erinnerungen!
Oh, ja die Gegend ist zum Teil echt abgelegen und Handyempfang hatten wir über weite Strecken nicht (fast schon wie in Kanada!), da ist eine Autopanne natürlich immer blöd! Davon blieben wir zum Glück verschont, aber es kommen trotzdem ja immer wieder Autos und die Einheimischen sind echt nett, deshalb hatte ich da weniger Sorgen. Gut, dass ich aber auch schöne Erinnerungen mit den Bildern wecken konnte!
Als ich das Foto mit den zwei weissen Holzliegestühlen sah und das Meer direkt davor, dachte ich es sei das bed and breakfast in dem wir im August in Oregan genächtigt haben. Genau die gleiche Szenerie nur eben ein bischen nördlicher in Newport, Oregon – falls jdm da mal hinkommt – traumhaft , kann man nur empfehlen Tyee Lodge oceanfront und sagt Dee ein herzliches Hallo von Angela , Paris. Viel Spass in US + A
Oh, danke für den tollen Tipp! Die Küste von Oregon werde ich auch eines Tages abfahren. Sehr gut zu wissen, dass es dort auch so charmante B&Bs gibt – wird vorgemerkt! 😉
Ich will sofort dahin!
Danke! Und ich will wieder hin! 😉
Hach, ich bin da auch soooooo gerne! Schöner Bericht! 🙂
Gruß,
Mika
Danke Mika! Bald hoffentlich wieder! Und wenn du coole Tipps für die Gegend hast – schick sie mir oder hau sie gern in die Kommentare!
Danke für den Einblick in das “etwas andere” Kalifornien. Passt so überhaupt nicht ins Klischee, dass wir von der Gegend normalerweise haben. Und ehrlich gesagt, stand das bisher auch nicht zur Debatte bei der Planung meines anstehenden USA-Roadtrips. Aber nach deinem Artikel sieht das nun etwas anders aus…
Danke Sarah, und schön, dass ich noch eine zusätzliche Inspiration für deinen USA-Trip geben konnte! 🙂
Unglaublich, dass ich tatsächlich zuerst an diesen Uralt-Song denken musste. Aber Sehnsüchte werden auf jeden Fall wach. Man sollte doch mal wieder durch Amerika reisen. Ich schwelge gerade in Erinnerungen ohne Ende. 😉
Danke – so soll’s sein! (Wobei ich auf den Song auch verzichten könnte ;-)). Kalifornien avanciert bei mir auch zu so einem “Geht-immer”-Reiseziel…