Das kleine Boot rast über den kalten Atlantik so schnell es kann und schaukelt dabei über fast vier Meter hohe Wellen. Sturm? Im Gegenteil: Es ist ein auffällig schöner Tag vor dem Ring of Kerry im Westen Irlands und die Sonne scheint, doch schon nach kurzer Zeit sind wir alle klitschnass von der hereinspritzenden Gischt.
Unser Bootsmann Seanie steckt uns alle in riesige Regencapes, in denen wir aussehen wie grüne Darth Vaders ohne Helm, während wir uns zugleich krampfhaft mit einer Hand irgendwo festkrallen und mit der anderen noch irgendwie versuchen, die Kameras zu zücken.
Wilde Überfahrt zur Insel der letzten Jedi
Nicht nur die handvoll Leute in unserem kleinen, sturmgebeutelten Boot, sondern auch die echte Star Wars-Crew haben denselben Weg zurückgelegt, für die Dreharbeiten zu den neuen Star-Wars-Filmen “Das Erwachen der Macht” und “Die letzten Jedi”. Ich habe vorsichtshalber gleich mal die doppelte Dosis Anti-Seekrank-Tabletten eingeworfen und frage mich dennoch, ob denen auch so schlecht war wie mir? (Und die armen Mönche erst… aber zu denen komme ich später.)
Wir nehmen Kurs auf zwei seltsam zerklüftete und spitze Fels-Eilande, die fast senkrecht aus dem Ozean herausragen. Unser Ziel ist die hintere, steilere. “Skellig Michael” wird sie genannt, nach dem Erzengel, wie der Mont St. Michel in der Bretagne und der St. Michael’s Mount in Cornwall. Ich starre wie fasziniert auf das vor mir immer größer werdende Häuflein karges, unwirtlich wirkendes Land. Eine Woche habe ich gewartet, bis der Wellengang nachließ.
Mehrere Versuche hat es gebraucht, bis ich diesen Ort endlich mal mit eigenen Augen und aus der Nähe sehen kann.
Skellig Michael – wo die Macht mit dir ist
Was wie ein scheinbar gottverlassener Fels in der Atlantik-Brandung Westirlands wirkt, ist in Wirklichkeit ein heiliger Ort aus einer längst vergangenen Zeit – bebaut mit einer Klosteranlage aus dem 6. Jhd., heute UNESCO Weltkulturerbe.
Neben der uralten Klosteranlage gibt es noch Ruinen mehrerer Gebäude aus späteren Jahrhunderten und einen alten verlassenen Leuchtturm. Tausend Jahre alte Treppen, die sich den steilen Fels hinaufwinden. Gräber. Das hier ist ein ganz besonderer Ort – nicht nur, weil man so schwer hinkommt. Seit ich das erste Mal von ihm gehört habe, zieht er mich magisch an. (Und das war noch vor Star Wars!)
Das Problem ist nicht einmal der hohe Wellengang auf offener See (selbst bei schönem Wetter), sondern vielmehr das Anlanden an dem beinahe senkrecht aus dem Meer aufsteigenden Fels. Doch heute endlich klappt es! Vor einem winzigen Kai, der eigentlich nur eine Steintreppe ist, schaukeln wir auf und ab und klettern dabei so elegant wir möglich aus dem Boot, immer schön ans Geländer geklammert.
Land! Endlich!!
Ich bin so froh, dass ich endlich hier bin und dieses karge, faszinierende Eiland mitten im Meer mit eigenen Augen sehen kann, dass ich meine Übelkeit und die von der Überfahrt wackeligen Knie beinahe augenblicklich vergesse. Ein schmaler Weg windet sich vor mir den Berg hinauf, immer ganz nah am Fels entlang.
Und dann beginnen die Treppenstufen.
Ungefähr 600 Treppenstufen sind es, alt und schief und abgetreten. Und bis zu 1.500 Jahre alt! Wir steigen hinauf. Ich stelle mir vor, wer alles vor mir schon auf denselben Treppen (ohne Geländer übrigens) hinaufgestiegen ist bis zum Kloster, das sich ganz oben auf einen Felsvorsprung schmiegt.
Schon auf halber Höhe ist der Ausblick fantastisch. Da wir nur eine kleine Gruppe sind, haben wir die Skellig für uns; einzig ein paar Seevögel, die um diese Jahreszeit nicht ausgeflogen sind, leisten uns Gesellschaft.
Eine letzte steile Treppe führt zwischen steil aufragenden Felsnadeln hindurch, und dann – fast ein kleiner Machu Picchu-Moment – haben wir das alte Kloster erreicht.
Steinerne Mauern schlängeln sich am Rand der steil abfallenden Klippen entlang. Innerhalb der Mauern lebten die Mönche in Hütten, die aus Steinen ohne Mörtel geschichtet und in einer charakteristischen Bienenkorb-Form gebaut sind. Da die Kapelle, dort alte Gräber mit uralten verwitterten Grabsteinen und Kreuzen. Gartenbeete, in denen heute noch vereinzelt Gartenkräuter von damals wachsen.
Doch warum zur Hölle wollten Menschen im frühen Mittelalter hier hin? In einem kleinen offenen Boot, acht Meilen über den kalten stürmischen Atlantik mit bis zu fünf Meter hohen Wellen, dann an dem beinahe senkrechten Fels anlanden, hinaufkraxeln. Den Stürmen und Wikinger-Angriffen ausgesetzt, mit nichts als Seevögeln und deren Eier um sich herum zum Essen und dem, was vermutlich vom Festland gespendet und umständlich hergebracht wurde. Am Ende der damaligen Welt.
Besagte Hölle war vielmehr der Grund, weshalb die Mönche hierherwollten, wie ich von Bootsmann und Guide Seanie erfahre: weil sie da eben NICHT hinwollten. Dafür nutzen sie den Rückzug in die Religion und die Einsamkeit, denn wo konnte man diese besser finden als auf diesen letzten Außenposten.
Ein bisschen wie in einer Zitadelle, irgendwie schon halb im Himmel.
An diesem Ort herrscht eine ganz besondere Atmosphäre: friedlich, ruhig, fast schon verzaubert. Ich hätte noch ewig da bleiben können.
Einfach dort oben sitzen und hinüberschauen auf die ‘echte’ Welt vor mir und den endlosen Atlantik hinter mir und innendrin ganz still werden.
Faszinierend: Bis zu 1.500 Jahre alte Steinstufen und -wege führen auf das karge Felseiland hinauf.
Einige (zu kurze) Zeit später mache ich mich schweren Herzens wieder auf den steilen, steinigen Abstieg. Und als wäre dieses Fleckchen Erde nicht schon einsam und abgelegen genug, erspähe ich schräg über mir das “Haus des Eremiten”, als ich wieder über den ersten Kamm steige. Hoch oben klammert es sich an einen Felsvorsprung. Wow. Hier kommt man wirklich nur noch durch Klettern hin.
Auf derselben Seite weiter unten befindet sich der alte verlassene Leuchtturm von 1826. Ausnahmsweise dürfen wir ihn betreten (ich liebe verlassene Orte erkunden!). Innen ist alles noch wie in den 1950er/60er Jahren. Um den immer weiter verfallenden Leuchtturm zu erhalten, soll dort in Zukunft eine einfache, aber exklusive Hotel-Unterkunft mit nachhaltigem Charakter entstehen. Wie toll das sein muss, die Nacht hier zu verbringen!
Auf dem Rückweg fühlt sich die See schon deutlich ruhiger an. Wir nehmen Kurs auf Little Skellig, die benachbarte Skellig, die nicht betreten werden darf, da sich auf ihr eine der größten Basstölpel-Kolonien der Welt befindet. Wir umrunden sie mit dem Boot. Um uns herum gleiten Vögel – Möwen und die riesigen Basstölpel – und auf den Felsen genießen Seehunde die Nachmittagssonne.
Auf der Rückfahrt zum Festland ist der Seegang gnädiger. Ich hänge entspannt an Deck ab und komme mir vor wie Grace O’Malley, die legendäre irische Piratin, die diese wilde Küste im 16. Jhd. unsicher machte. Die ganze Fahrt über steuern wir direkt in einen Regenbogen hinein.
Und dann sehen wir die Delfine. Als wäre dieser Tag nicht schon perfekt genug.
Regenbogen und Delfine auf dem Rückweg – als wäre der Tag nicht schon perfekt genug.
Skellig Michael: So kommst du hin
Mit dem Motorboot vom Ort Portmagee auf der Kerry Halbinsel aus, ca. 1 1/2h von Killarney entfernt. In Portmagee ist auch das Skellig Experience Visitor Centre. Am Besten als Tour mit Mór Active Tours oder direkt mit Sea Quest buchen (täglich um 10 Uhr). Vorher unbedingt anrufen und abchecken, ob das Boot hinausfahren und anlanden kann! Die Überfahrt ist komplett abhängig vom Wetter, Wind und Seegang, und muss daher oft kurzfristig verschoben werden. Plane dafür am Besten Puffertage ein, während du die Kerry- und Dingle-Halbinsel erkundest.
Weiterlesen:
- Connemara mit dem Fahrrad erkunden
- Eine alternative Stadttour durch Dublin
- Here be Dragons: Am Ende der Landkarte in Donegal
- Irland oder der Post-Reise-Blues
- Irlands Westküste: Die schönsten Klippen
Vielen Dank an Mór Active Tours und Failté Ireland für die Einladung! Alle Ansichten sind meine eigenen.
Sehr schöner Bericht! Ich wartete das letzte Mal fast eine ganze Woche in Portmagee, um auf die Skellig fahren zu können, aber die See war zu rauh. Zum Glück kann man dort toll wandern und der Pub in Portmagee ist wie aus einem Irlandklischee-Werbefilm, ganz wunderbar…Zum Nachlesen das Ganze hier: http://planetenreiter.de/wandern-an-irlands-westkuste/
Hi Dirk, vielen Dank! das zeigt einmal mehr, wie viel Glück ich hatte, dass ich es (nach ebenfalls einer Woche in Killarney) dann doch noch dorthin geschafft habe. Ich habe dort in der Nähe auch einen Cliff Walk bzw. eine Wanderung an der Küste entlang gemacht und eine Bootsfahrt vor Valentia Island, und muss dir zustimmen: die Gegend ist superschön für einfache Wanderungen, zum Rumfahren und Aussteigen und Staunen und Portmagee ist auch total charmant. Dein Blogbeitrag ergänzt das sehr gut!
Fernweh deluxe! Bei meiner vierten Irlandreise war ich ebenfalls auf Skellig Micheal, zwar bei Nebel…aber dafür war die Stimmung sehr mystisch. Danke, schöner Bericht! Irland ist ein wunderschönes Land <3
Vielen Dank! Oh, bei Nebel stelle ich mir Skellig Michael auch ganz toll vor! (Die Überfahrt mit dem Boot allerdings weniger…)