Auf Städtereisen halte ich gerne und immer ein Auge offen für Streetart (bzw. Graffiti und Kunst im öffentlichen Raum.) Ein regelrechtes Streetart-Mekka ist Berlin, die Stadt, in der ich kürzlich meine Homebase aufgeschlagen habe. Höchste Zeit also, hier noch mehr zu entdecken!
Vor einiger Zeit habe ich eine tolle, individuelle geführte Streetart-Tour in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg mit The Hidden Path gemacht, weshalb die Jungs auch jetzt meine erste Wahl waren. Diesmal wollte ich Streetart in Kreuzberg erkunden.
Das Gute an den Touren mit The Hidden Path: Sie finden nur in ganz kleinen Gruppen statt (oder sind gleich ganz privat) und sind individuell. Das heißt, ihr könnt sowohl vorher als auch währenddessen sagen, was euch interessiert (Themen wie Streetart, Graffiti, verlassene Gebäude, bestimmte Stadtbezirke, Kulinarisches, Szeniges, einfach mal Kaffee trinken etc.).
Ich bin nun schon zum zweiten Mal mit Paul unterwegs, der in Berlin aufgewachsen ist und die Stadt daher wie seine Westentasche kennt, und zudem selbst in der Graffiti- und Streetart-Szene unterwegs ist – als Künstler. Das trifft sich natürlich gut, und so ziehen wir gemeinsam vom Kreuzberger U-Bahnhof Schlesisches Tor los.
Streetart-Spots in Kreuzberg: das Areal an der Cuvrystraße
Unsere erste Station ist die „Hall of Fame“ auf dem brachliegenden Areal gegenüber des Lido in der Cuvrystraße. Früher ein selbstgebautes Hüttendorf von Roma und Wohnungslosen (“Berlins Favela” genannt), wurde das Gelände wie die meisten Freiflächen in Berlin an Investoren verkauft (für Luxuslofts natürlich). Mittlerweile ist es leer und abgesperrt (der Bauzaun war zum Glück ein Stück offen!).
An den Gebäudewänden prangten bis Ende 2014 zwei riesengroße Murals (Wandgemälde) des Streetart-Künstlers Blu aus Bologna in Kooperation mit dem französischen Streetart-Künstler JR. Sie zeigten zwei Figuren, die sich gegenseitig die Masken vom Gesicht zogen und Ost und West symbolisierten, sowie eine kopflose Figur mit goldenen Handschellen.
Angeblich aus Protest gegen die Stadtentwicklungspolitik ließ Blu seine Werke schwarz übermalen – was wiederum für ordentlich Aufmerksamkeit sorgte, denn seine Bilder hatten in Berlin bereits Kultstatus erreicht (mehr dazu lest ihr hier.) Was mit dem Cuvry-Areal weiter passiert, ist derzeit übrigens noch offen, Ende März 2016 wurde das Bauvorhaben erst mal gekippt (näheres dazu hier).
Leider seht ihr hier heute nur noch, wo die Murals von Blu schwarz übermalt wurden. Es haben sich aber auch noch mehr Street Artists und Graffiti Crews hier verewigt, z.B. die ÜF Crew (Über Freaks) aus Berlin, deren überdimensionierter Mittelfinger auf der ehemaligen Blu-Wand mit vielen vertikalen Schriftzeichen mittlerweile auch übermalt ist. Die ÜF Crew ist bekannt dafür, auf Gebäude zu klettern und sich spektakulär abzuseilen, erfahre ich von Paul. Wie das Ganze an der Blu-Wand aussah, könnt ihr euch hier anschauen (ink. wie sie sich abseilen!), mehr sehr ihr im Film “Berlin Kidz“.
Wrangelkiez
Wir ziehen weiter durchs berüchtigte Kreuzberger Wrangelkiez. Paul erklärt mir diverse Hintergründe zu Kreuzberg und den einzelnen Kiezen und führt mich zu weiteren Murals und Graffitis. Unterwegs erklärt er mir, welche Crews und Künstler sich dahinter verbergen, welche verschiedenen Techniken und Stile es gibt – z.B. brasilianisches Graffiti, inspiriert von Heavy Metal-Schriftzügen, Malen mit Rollen von Hausdächern herunter, Sprayen mit Feuerlöschern (!). Insbesondere Letzteres scheint der neueste heiße Scheiß, weshalb es dazu sogar Youtube-Tutorials dafür geben soll.
Auch hier trifft mal wieder zu: Je mehr man weiß, desto mehr sieht man.
Bilder: Alaniz, “Berlins Banksy”, Mural von The London Police
Vieles wäre mir im Vorbeigehen gar nicht aufgefallen (oder hätte manches vielleicht auch nur als vermeintliche Schmiererei wahrgenommen). Doch Paul kann sogar die verschlungenen Graffitti-Schriftzüge lesen, bei denen ich nur Bahnhof verstehe, und mir auch dazu was erzählen.
Mein Blick schweift nun mal nach oben, mal nach unten, in Hinterhöfe hinein und suchend an Wänden entlang, wenn ich durch die Straßen gehe.
Oberbaumbrücke/Köpenicker Straße: Murals von Blu, tanzende Frauen und Glitzer
Wir ziehen weiter in Richtung Grenze Friedrichshain/Ostberlin und Oberbaumbrücke: Berlins „schönste Brücke” (ich hab bisher jedenfalls noch keine schönere gesehen) und früher streng bewachter Grenzübergang zwischen Ost und West.
Wer will, kann sich am Spreeufer auf der anderen Seite gleich noch die East Side Gallery reinziehen (größtes noch erhaltenes Stück der Berliner Mauer, über und über bemalt).
Bilder: Mural von Blu in der Nähe der Oberbaumbrücke, mehr Graffiti & Streetart
Wir bleiben jedoch am anderen Ufer und schlendern dort entlang, schauen in Innenhöfe, auf alte Fabrikmauern und auf den Fluss, wo die vollgesprayten Überreste einer alten Brücke zu erkennen sind, direkt dahinter das neue Hochhaus mit Luxuswohnungen auf dem ehemaligen Todesstreifen, wegen dem eine Lücke in die East Side Gallery geschlagen werden musste, was für heftige Protestaktionen sorgte.
Gebaut wurde es trotzdem. Es sieht leerstehend aus.
Bilder oben: Graffiti auf einer verlassenen Brücke in der Spree und auf alten Fabrikgebäuden; unten: Mural von Blu auf dem Netto-Parkplatz, bei dem die Mauer zu 100-Euro-Scheinen wird, Feuerlöscher-Graffiti der Gruppe 1UP aus Kreuzberg.
Berlin hat derzeit übrigens ziemlich viel Glitzer an den Wänden!
Und das nicht nur in Kreuzberg. Haltet mal die Augen offen! (Da auf dem Boden der Tatsachen bekanntlich sowieso viel zu wenig Glitzer und Konfetti liegt, kann ich das nur gutheißen.)
In Kreuzberg zu finden: Glitter und tanzende Frauen (Sobre: It’s time to dance), Pasteups von Various and Gould
Schillingbrücke, Yaam, Ostbahnhof
Zum Schluss zieht es uns doch noch auf die andere Seite der Spree, in Richtung Ostbahnhof. Auf den Gebäuden hinter der Strandbar YAAM gibt es nochmal einiges an Murals zu bestaunen (schon von Weitem sichtbar von der Schillingbrücke). Bei der alternativen Rasta-/Strandbar könnt ihr gut in der Sonne an der Spree sitzen, Reggae lauschen und euch einen Drink genehmigen.
Murals beim Görlitzer Bahnhof: Astronaut Cosmonaut und ROA
Bei einer Streetart-Tour durch Kreuzberg dürfen auch zwei der berühmtesten Berliner Murals nicht fehlen, die ihr entlang der Skalitzer Straße zwischen den U-Bahnhöfen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof leicht aufstöbern könnt (man sieht sie coolerweise schon aus der U-Bahn).
Der “Astronaut Cosmonaut” des französischen Künstlers Victor Ash prangt an einer Hauswand in der Mariannenstraße Ecke Skalitzer Straße und ist ein Symbol des Kalten Kriegs.
Ein Stückchen weiter, beim Görlitzer Bahnhof, in der Oranienstraße Ecke Manteuffelstraße findet ihr das Mural “Nature Morte” von ROA, das tote, vom Dach herunterhängende Tiere zeigt (Hase, Storch und Rehbock), eine Spezialität des belgischen Streetart-Künstlers (der einer meiner Favoriten ist!).
Mein Fazit: Eine gelungene Tour mit vielen Hintergrundinfos und Berlin-Insidertipps eines Einheimischen, die ich euch empfehlen kann.
Schaut euch auch hier den Bericht über meine Streetart-Tour in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg an.
Jetzt muss ich nur noch die anderen Bezirke durchmachen…
Welche Streetart-Tipps habt ihr für Berlin?
Danke an Paul und The Hidden Path für die tolle Tour und die Einladung! Alle Ansichten sind meine eigenen.